Ein Schnitz Malerei gefällig? Statt mit Mozzarella und Tomaten ist das Produkt, das man beim Berner Kunstprojekt Artacks in einer Pizzaschachtel mitnimmt, mit Filzstift und Sprühfarbe belegt. Die Kuratorengruppe lädt nämlich Künstler ein, vor Publikum eine weisse Wand zu gestalten. Gefällt einem ein Stück besonders, kann man es für 50 Franken kaufen und in der Fastfood-Box nach Hause nehmen. Ab heute Abend passiert dieser Mitnehm-Augenschmaus auch in Basel: Anlässlich von Artyou, der seit sechs Jahren alljährlich stattfindenen Basler Ausstellung für urbane Kunst. Nachdem der von Philipp Brogli und Beat Schöneck organisierte Anlass 2010 in die Satisfactory ausweichen musste, kommt ihm dieses Jahr die Ehre zu, als erste Veranstaltung den umgebauten Ackermannshof einzunehmen. Street-Art ist nicht gleich Graffito Ein durchaus urbaner Rahmen also. Doch was muss man sich eigentlich unter Urban Art vorstellen? Bestimmt nicht den Städtebau. «Urban Art ist ein Überbegriff für verschiedene Genres wie Street-Art oder Graffiti was übrigens absolut nicht dasselbe ist», erklärt es Organisator Philipp Brogli.
Vielleicht ist die Pizzaschachtel kein schlechtes Bild für ein Kunstgenre, das mit Künstlern wie dem Briten Banksy vor wenigen Jahren einen Boom, inklusive spektakulären Markterfolgen, erlebte. Gerade die flache Wegwerfbox ist ein durch und durch städtisches Objekt, das den einsamen, kochunfähigen Yuppie das heisst ja auch Young Urban Professional ebenso entlarvt, wie sie jede hungrige WG adelt. Urbane Kunst vermeidet nicht die Schattenseiten der Stadt. Vielmehr versteckt sie sich in ihnen, um unentdeckt produzieren zu können. Um Kunst quasi in die Ecke machen zu können. Obwohl: Den Ruch des Illegalen hat die Urban Art teilweise abgelegt. Sprayerlegenden wie der Basler Smash 137 «er gehört bei Artyou seit 2006 fast zum Inventar», so Brogli malen heute sogar mit Aquarell auf Papier. Auch wenn das Resultat nach wie vor an einer Graffitioptik orientiert ist, wie sich im Ackermannshof zeigt. Farbe und Unterlage könnten nicht verschiedener sein von Sprühlack und Beton.
Ebenfalls von der Strasse auf die Leinwand hat sich Fafa bewegt. Zwar malt der aus Sevilla stammende Künstler nach wie vor Graffitimotive, allerdings verwendet er dafür jetzt Acrylfarben und nimmt neu auch die Sprayer selbst mit ins fast fotorealistische Bild. Während Banksys Arbeiten mühevoll aus den Mauern gebrochen werden mussten, um zu Fantasiepreisen versteigert zu werden, nimmt Fafa das Herausreissen aus dem Kontext vorweg und macht aus Graffiti gleich ein besser vermarktbares Gut. Der ursprünglich immer subversive Akt des Sprayens wird hier quasi musealisiert. Wie das portionenweise Veräussern von Malerei in der Pizzaschachtel entbehrt das natürlich nicht einer gewissen marktkritischen Ironie. Genauso wie Alexander Becherers Skulptur aus verschiedenen Materialien, bei der ein Kopf ganz buchstäblich und plastisch vollgedröhnt ist mit den Logos verschiedener Marken von UBS bis Nike.
Ebenfalls latent subversiv sind Thierry Furgers Arbeiten auf Alu: Er sprayt zwar noch, entfernt dann aber die Farbe teilweise wieder gerade so, wie es der städtische Reinigungsbeamte mit Graffiti auf öffentlichen Mauern tut. Dadurch entstehen fast schon wieder sanfte Bilder, die nichts mehr von der Widerstandsfähigkeit von Kunst auf offener Strasse haben. Muss man der urbanen Kunst, gemessen am jährlichen Basler Gradmesser Artyou, also vorwerfen, dass sie weich geworden ist, kompromissbereit
und nur noch in marktgerechten Stücklein daherkommt, sauber verpackt in der Kartonbox?
Erstens müsste man das ihrer grossen Schwester, der herkömmlichen bildenden Kunst, noch fast mehr vorhalten. Und zweitens hatten Vertreter der Urban Art noch nie Berührungsängste, was den Markt anbelangt. Reto Ehrbar aus Zürich, der etwa ein Jesus-Porträt aus Plexiglas nach Basel bringt, führt auch ein sehr erfolgreiches Grafikbüro. Und der Künstler Tilt gestaltete beispielsweise eine der Uhren einer neuen Swatch-Kollektion, die Swatch, die Hauptsponsorin des Anlasses, an der Artyou vorstellt.
Man kann sich höchstens fragen, ob das Label Kunst dieser Art von Produktion überhaupt wirklich guttut. Klar, es geht mit dieser Klassifizierung auch um eine Anerkennung der Virtuosität im Umgang mit den zur Verfügung stehenden Mitteln: Die Kugelschreiberzeichnungen von Claude Luethi etwa er zeigt eine ganze Musiktruppe mit Tierköpfen zeugen von furioser Präzision
und handwerklicher Finesse. Und doch setzt man sich mit der Bezeichnung «Kunst» gleich einen Rattenschwanz an historischen Bedeutungen und ökonomischen Konsequenzen an, der nicht jede Arbeit weiterbringt. Die Unterschiede zur klassischen bildenden Kunst liegen auf der Hand. Während diese oft im Rahmen an der Wand hängt, können die Arbeiten der Artacks-Künstler eben in der Pizzaschachtel weggetragen werden. So kommen sie besser in der Stadt herum – wie es sich für urbane Kunst gehört.
Basler Zeitung Kultur, vom 08.09.11